22. März 2022

Impuls zur Fastenzeit

Heinz Seeber “Die fehlende Mitte”

Meditative Gedanken zur Fastenzeit

Heinz Seeber schuf gemeinsam mit unserem Galeriegründer Chlodwig Selmer die Grafik “Die fehlende Mitte”: Arbeitstitel war “Orientierungslosigkeit unserer Zeit”. Auch wenn die Arbeit bereits in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts geschaffen wurde, an Aktualität hat sie nichts eingebüßt. Gerade in der vorösterlichen Fastenzeit wird die Grafik vielfach für Bußgottesdienste genutzt und es sind in den letzten Jahren viele Texte dazu verfasst worden. Gerne veröffentlichen wir hier stellvertretend für die vielen Meditationen, Gedanken und anderen Veröffentlichungen einen Ausschnitt eines Bußgottesdienstes, den Dr. Eduard Nagel, Deutsches Liturgisches Institut (Trier), in Absprache mit unserer Galerie verfasste.
Bei Interesse schicken wir Ihnen gerne Unterlagen zu. Bitte respektieren und beachten Sie, dass Bild und Text urheberrechtlich geschützt sind, sollten Sie diese verwenden wollen, melden Sie sich bitte bei uns.

Dr. Eduard Nagel nahm “Die fehlende Mitte” von Heinz Seeber als Impuls für einen Bußgottesdienst, den das Deutsche Liturgische Institut veröffentlichte:

“Das Bild ist vor 30 Jahren entstanden aus dem gemeinsamen Ringen des Galeristen Chlodwig Selmer aus München und des Künstlers Heinz Seeber mit dem Thema „Orientierungslosigkeit unserer Zeit“. Eine entscheidende Inspiration fanden sie in dem Essay des Dichters Reinhold Schneider „Schacher ohne Heiland“, in dem Schneider von einer Kreuzigungsgruppe schreibt, in der das Kreuz Jesu mit seinem Korpus von Bilderstürmern zerstört worden war.

Der „Orientierungslosigkeit unserer Zeit“ haben der Auftraggeber und der Künstler mit diesem Bild Ausdruck gegeben. Im harten Kontrast von Schwarz und Weiß hängen die „Schacher ohne Heiland“ da. Noch deutlicher kann man das Grundproblem unserer Tage nicht auf den Punkt bringen: das Problem unserer Gesellschaft wie das Problem so vieler Zeitgenossen. – Auch unser Problem? Das Erschrecken, das uns beim Anblick dieses Bildes unwillkürlich durchzuckt, ist wohl die Frage: Was wäre, wenn …? Was wäre, wenn es tatsächlich das Werk der Erlösung durch Jesus, den gekreuzigten Christus, nicht gegeben hätte, nicht gäbe? Wenn mein Blick zum Kreuz ins Leere ginge?

Vielleicht ist Ihr Glaube so stark, dass er die Leere ausfüllt, dass Ihre Augen den weißen Hintergrund ertragen, ja dass dieses Weiß für Sie leuchtet wie das erste Licht des Ostermorgens. Wenn es so ist, wird dieses Bild für Sie zum Trostbild. Dann kann und wird es Sie mit Dank erfüllen, dass dieser Glaube in Ihnen lebt, dass nicht Verzweiflung, Resignation oder Hass ihr Leben bestimmen.

Vielleicht streiten in Ihnen beim Anblick des Bildes ganz unterschiedliche Gefühle gegeneinander: der Glaube, der das fehlende Bild Christi zu ersetzen vermag, und dagegen die Ungewissheit, ob die Tafel des Pilatus die Wahrheit sagt oder nur doch noch ein billiger Trost, wenn nicht gar ein Hohn ist.

Oder Ihr Blick wird von einer der Gestalten an den beiden Kreuzen festgehalten, weil auch in Ihrem Leben schon so Vieles weggebrochen ist, was einmal Halt gegeben hat, dass es für Sie schwer ist, an einen Gott zu glauben, der alles zu einem guten Ende führen kann und wird, und an ihm festzuhalten.

Die „Orientierungslosigkeit unserer Zeit“ war der Arbeitstitel, den der Künstler aufgegriffen hat. Es geht in diesem Bild nicht nur und vielleicht nicht einmal in erster Linie um uns als Individuum, es geht um unsere Gesellschaft. Und da fällt uns viel ein zu der Frage: Was passiert, wenn die Mitte – unsere christliche Mitte – fehlt? Da herrscht die Gier in allen Formen und Facetten: die Gier nach Geld, die keine Rücksicht kennt auf Menschen, die ihr Arbeitseinkommen und ihre verdiente Habe verlieren. Die Gier nach dem, was man Leben nennt, das aber auf Kosten der Menschen geht, die einem nahe stehen. Die Gier nach Macht, die anderen die Würde raubt, … Da herrschen Egoismus und Rücksichtslosigkeit, da wird die Würde von Menschen mit Füßen getreten, da wachsen Verachtung und Hass.

Es wäre leicht, ein Klagelied zu singen, doch das ist es nicht, wozu uns dieses Bild herausfordert. Der Titel „Die fehlende Mitte“ ist eine Frage – die Frage an uns, ob wir als Christen in der vom Fehlen einer Mitte beherrschten Umgebung, in unserer Gesellschaft und Welt imstande sind, etwas von dem zu ergänzen, was da fehlt. Von dem, der da fehlt. Rechts und links von uns hängen auch Schächer mit ihren missratenen Leben, mit ihren Fragen, in ihrer Verzweiflung, ihrer Resignation und Aggression. Kann da durch uns in dem Weiß der Leere wenigstens ein Schimmer aufstrahlen, der ahnen lässt, dass die Tafel mit dem Namen Jesu auf dem Boden tatsächlich eine Wirklichkeit bezeugt? Eine Wirklichkeit, die hoffen lässt?”

Dr. Eduard Nagel, DLI Trier

 

Der Link führt Sie direkt zur Grafik “Die fehlende Mitte” von Heinz Seeber :